Fressen, Kunst und Puderquaste

Erinnerungen an eine Heimat

Es gibt zwei bis drei Momente im Jahr bei denen ich zum Nichtstun gezwungen bin. Es ist dann, wenn ich die Reifen am Wagen wechseln lasse. Meistens geht das einher mit einer Innen- und Außenwäsche und das Ganze dauert ungefähr drei bis dreieinhalb Stunden. Da die Werkstatt meines Vertrauens sich immer noch in meiner alten Heimat befindet (weil ich mir bis jetzt noch keine Gedanken gemacht habe eine in meiner Nähe zu suchen) sitze ich dort fest.
Gestern war wieder so ein Tag.

Ich stand früh auf und fuhr los. Die Fahrt dorthin geht inzwischen nur noch durch drei Baustellen, wobei sich zwei davon hoffentlich bis Ende Jahres erledigt haben werden. Während der Fahrt überlegte ich mir schon was ich anstellen sollte um die Zeit überbrücken und nahm vorsichtshalber das Tablet zum Lesen mit.
Ich gab den Wagen ab und schlenderte an der Kreuzung an meinem alten Haus vorbei in dem über 20 Jahre gewohnt habe. Das steht noch da wie immer doch die guten Geister sind ausgezogen. Die Menschen die dort gewohnt haben sind nicht mehr, nur die Erinnerungen bleiben… Ich werde es verkaufen.
Gegenüber wo sich einst eines der besten italienisch/französischen Restaurants befand wird umgebaut. So habe ich es vor ein paar Wochen aus der Zeitung erfahren. Geschäft kommt keines mehr rein. Auf der anderen Seite der Kreuzung befand sich eine Bäckerei die schon längst zu einem privaten Wohnhaus umgebaut wurde.
Geht man die Straße weiter Richtung Zentrum kommt man an einem Haus vorbei das schon seit vielen Jahren leer steht. Der Bürgermeister einer benachbarten Ortschaft hatte dort sein Geschäft. Es war ein Fotokopierladen mit angeschlossener Abholstelle für Katalogbestellungen. Er verstarb urplötzlich und es traf eine ganze Gemeinde wie ein Donnerschlag. Soweit ich weiß streitet sich die Erbengemeinschaft immer noch…
Ein Stück weiter ist die alte Jugendherberge mit der, so las ich in der Zeitung, auch endlich etwas passieren soll. Gelangt man dann in die Fußgängerzone wird es ein Trauerspiel. Die Konditorei steht schon seit Jahren leer, der Kaffeeladen daneben genau so. Gegenüber war immer ein kleiner Schuhladen, der jetzt auch geschlossen ist. Die Ecke (die auch Vic’s Eck von den Einheimischen genannt wurde) die einst von Treiben und Geschäften nur so brummte sieht sehr armselig aus.
Ich ging weiter über den Marktplatz der schon, als ich noch dort wohnte, viel von seiner einstigen Attraktivität eingebüßt hat. So gab es zwei Hotels von denen das eine seit über fünfzehn Jahren geschlossen ist. Die klägliche Bauruine über die schon viel gestritten wurde, schaffte es immer wieder in die Schlagzeilen und das bis heute. Das kleinere Hotel daneben schloss ebenfalls vor ein paar Jahren und es sollen Seniorenwohnungen gebaut werden. Passiert ist aber noch nichts.
Ich kehrte in die alte Traditionskonditorei ein in der inzwischen eine Bäckereikette ist, bestellte eine Tasse Kaffee und las die Tageszeitung. Ich kenne die Kette auch von der Hauptstadt her aber die Auswahl hier ist spärlicher. Gegenüber der Bäckerei befand sich ein Zeitungsladen, den es schon lange nicht mehr gibt. Ich denke so lange wie der Besitzer des Hauses lebt wird dort auch nichts neues eröffnet.
Während ich meine Zeitung las, kamen eine Handvoll Lehrer die wahrscheinlich eine Freistunde hatten. Ich musste mir ziemlich viel dummes Lehrergefasel anhören in das ich mich liebend gern eingemischt hätte, zumal da ich ein paar von ihnen kannte, aber es war mir dann doch zu doof.
Die Minuten und Stunden schleppten sich hin und ich beschloss durch die Fußgängerzone bis zum Busbahnhof zu gehen. Es gab in dieser Straße mal sieben Hotels zur Blütezeit. Jetzt sind es nur noch zwei wobei ich mir nicht sicher bin, ob eines von den beiden nicht auch endgültig geschlossen ist.
Der Handyladen der ‘Apfelsine’ ist weg. In der Auslage vom Schaufenster stehen wieder die Elektrogeräte des Hausbesitzers der etwas weiter oben in der Straße seinen Laden hat. Zumindest wird etwas ausgestellt und der Raum ist nicht leer.
Ganz am Ende der Straße beim Busbahnhof hatte es jemand gewagt eine Bar zu eröffnen die eine Art Loungebar war. Weg.
Das legendäre Bekleidungsgeschäft für Damen ab einem gewissen Alter, das ein Haus weiter, in neuere Räumlichkeiten umgezogen ist, gibt es noch. Doch der alte Laden wird leer bleiben.
Und so könnte ich noch ein Dutzend weitere Beispiele aufzählen an denen man sieht, dass eine blühende Stadt immer mehr in den Dornröschenschlaf fällt.
Ich möchte nicht über all die Fehler der Vergangenheit reden, die in der Stadt begangen wurden und keine Schuldigen bezichtigen. Es sind deren zu viele.

Im August werden es zwei Jahre dass ich nicht mehr dort lebe und ich bereue die Entscheidung keine Sekunde. Doch die zunehmende Trostlosigkeit macht mich traurig, sehr traurig.

3 Kommentare

  1. Patrick Useldinger

    Leider hues du dat ganz treffend beschriwwen… wann enges Dages och nach den Giorgio fort ass dann fueren ech just nach doduerch fir op d’Cité ze kommen.

  2. karin

    Oh Joel daou schweetz vielen Leit aus dem Herz
    an eich sein ganz deiner Mehnung

  3. trumpetfan

    Dat trefft leider alles zou. Ganz gudd geschriwen nach derbai!
    Mee hun d’Proffen wirklech nemmen domm gefaselt (ech ka mech ganz gutt dorun erenneren), oder ass do nach emmer Roserei op d’Schoul?

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